Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Ja, es stimmt, aber die Wahrheitssuche sollte niemals in die Tortur der Unterdrückung ausarten. Ich denke persönlich, dass Ken Wilber, der ein echter Buddhist ist, bestimmt immer die Wahrheit suchte. Na gut, das wäre fast OT. Wahrheit bedeutet, alles zu akzeptieren, anzunehmen, am Ende loszulassen und darüber hinauszugehen, also zu transzendieren. Dann wäre es der mittlere Weg oder die goldene Mitte. Kein Problem, ich bin noch "der Gewöhnliche". Ironie, oder?;) Alles Gute. War nur meine Meinung, wenn ich darf.:)

Ich bin auch ein gewöhnlicher Mensch, andernfalls würden mir die vorübergehenden Leiden der Entsagung gering erscheinen angesichts des großen Ziels. Weil ich aber nachlässig und nicht ernsthaft genug bin, mache ich mir meinen eigenen weichgespülten mittleren Weg 😇 Nur meine Meinung über mich selber.
 
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Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
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| Mein Blickwinkel: Ich schreibe nicht zwangsläufig aus dem Blickwinkel der Gelug-Prasaṅgika-Madhyamaka, sondern dem Standpunkt meiner Gesprächspartner entsprechend, (auf die ich bemüht bin, einzugehen), sodass es uns möglich ist, auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Man kann es auch positiv sehen: Ohne Begehren ist innerer Frieden der alles andere Glück übertrifft. Was will man mehr? Darin besteht eben der Frieden, dass man nicht mehr will. Man braucht nichts, alles ist da. Man lebt in Frieden und stirbt in Frieden.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
mukti schrieb:
Ohne Begehren ist innerer Frieden der alles andere Glück übertrifft.

Schön ausgedrückt wird das in der Visākhāsutta:

„Aller Kummer, alle Klagen und die zahllosen Arten von Leiden in der Welt treten wegen unserer Lieben auf; wenn wir keine Lieben haben, treten sie nicht auf.

Darum sind die, die in der ganzen Welt überhaupt keine Lieben haben, glücklich und frei von Gram. Daher strebe den unbefleckten Zustand an, wo kein Kummer herrscht, und hab in der Welt überhaupt keine Lieben.“

Ud 8.8. (deutsche Übersetzung von Sabbamitta ausgehend von Bhikkhu Sujatos englischer Übersetzung)

Oder:
"Was es auch an Kümmernissen, Wehklagen und Leiden in mannigfachen Formen in der Welt gibt: sie bestehen, weil man etwas Liebes hat 442); ist Liebes nicht vorhanden, so sind jene nicht. Darum sind ja diejenigen glücklich und frei von Kummer, denen nicht irgend etwas lieb ist in der Welt. Deshalb schaffe sich nicht irgend etwas Liebes in der Welt, wer kummerlos und frei vom Staub (der Trübsal) zu werden wünscht."

442) Wörtl. "in Abhängigkeit von (etwas) Liebem".

Ud 8.8. (deutsche Übersetzung von Karl Seidenstücker)
 
| Mein Blickwinkel: Gem. meiner Lehrtradition versuche ich aus dem Blickwinkel kulturell und spirituell in Thailand geprägter Menschen zu schreiben und im Rahmen meiner Möglichkeiten ein Kompatibilisieren der Lehre mit im Westen populären Denkmustern und Gewohnheiten zu vermeiden
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
"Was es auch an Kümmernissen, Wehklagen und Leiden in mannigfachen Formen in der Welt gibt: sie bestehen, weil man etwas Liebes hat 442); ist Liebes nicht vorhanden, so sind jene nicht. Darum sind ja diejenigen glücklich und frei von Kummer, denen nicht irgend etwas lieb ist in der Welt. Deshalb schaffe sich nicht irgend etwas Liebes in der Welt, wer kummerlos und frei vom Staub (der Trübsal) zu werden wünscht."

442) Wörtl. "in Abhängigkeit von (etwas) Liebem".

Ud 8.8. (deutsche Übersetzung von Karl Seidenstücker)

Liebe in Abhängigkeit ist eben mit Begehren verbunden, da liebt man Menschen nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des angenehmen Gefühls, das man durch ihre Gegenwart empfindet. Menschen die nur unangenehme Gefühle auslösen, liebt man nicht oder hasst sie. Metta hängt dagegen nicht vom Gefühl ab und richtet sich an alle Menschen und alle Wesen in gleicher Weise, unter allen Umständen. Nichts Liebes zu haben bedeutet demnach nicht Gleichgültigkeit, sondern allen Wesen mit Güte und Wohlwollen zu begegnen, sogar solchen die einem schaden wollen. Leider erstickt die triebhafte Anhänglichkeit an den Gefühlen diese Weisheit und dominiert das Weltgeschehen.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Es gibt ein wenig beachtetes, aber sehr interessantes Paliwort: Ahaṁkara. Ahaṁ bedeutet Ich und kara bedeutet tuend, bewirkend, hervorbringend. Mit einem Wort das Ichmachen. Wenn Leid entsteht, lässt sich auf das Ichmachen getrost verzichten - da ist nur ein unangenehmes Gefühl, das bin ich nicht, das gehört mir nicht, es ist nur ein Gefühl, da muss ich mich nicht dranhängen, der Leidende will ich ja nicht sein. Wenn Freude entsteht wird es schwieriger, angenehme Gefühle habe ich gern, da fühle ich mich wohl, der Freudvolle, Glückliche will ich sein. Da wird das Ich gemacht.
Wo in der Welt etwas in Gestalt von Geliebtem und Angenehmem erscheint, dort entsteht der Durst, dort fasst er Fuß.
D.22
Nämlich der Durst nach Dasein und Sinnesgenuss, der macht das Ich. Und das Ich bläht sich auf durch Reichtum, Macht und Stolz. Wenigstens das Aufblähen lässt sich verhindern durch die Einsicht und Erfahrung, dass ein bescheidenes und gütiges Ich glücklicher ist. In der Tat, je kleiner das Ich, desto glücklicher ist es. In Wirklichkeit ist es ja auch recht klein, ein winziges Pünktchen in der Welt, Im Weltall gar nicht mehr sichtbar. Eigentlich ist es nichts, nur eine Vorstellung.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Metta hängt dagegen nicht vom Gefühl ab und richtet sich an alle Menschen und alle Wesen in gleicher Weise, unter allen Umständen.
Lieber @mukti, nur um die Aussage ein wenig zurechtzurücken:

auch an die realen und konkreten Leute in meiner Umgebung.( persönlich!) Die Fälle, also die Illustrationen, findet man mehr als genug im Werk "Verlangen" von Bhikkhu P.A. Nochmals meine Dankbarkeit an @Monthatip.🥀 Sehr schade, dass alles andere nur auf Englisch zugänglich ist.

Liebe Grüße.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
mukti schrieb:
Metta hängt dagegen nicht vom Gefühl ab und richtet sich an alle Menschen und alle Wesen in gleicher Weise, unter allen Umständen.
Lieber @mukti, nur um die Aussage ein wenig zurechtzurücken:

auch an die realen und konkreten Leute in meiner Umgebung.( persönlich!)

Selbstverständlich auch an die Leute in der Umgebung und allen Wesen denen man begegnet, da lässt sich Metta besonders gut üben.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Ich wollte aber, sorry, nochmal zurück zur zentralen Frage: Was war zuerst, tanha oder avidjja? So lese ich:


„Durch Unwissenheit (1. avijjā), ihr Mönche,
bedingt sind die Karmaformationen (2. sankhāra),
durch die Karmaformationen das Bewusstsein (3. viññāna),
durch das Bewusstsein das Geistige und Körperliche (4. nāma-rūpa),
durch das Geistige und Körperliche die sechs Grundlagen (5. āyatana),
durch die sechs Grundlagen der Bewusstseinseindruck (6. phassa),
durch den Bewusstseinseindruck das Gefühl (7. vedanā),
durch das Gefühl das Begehren (8. tanhā),
durch das Begehren das Anhaften (9. upādāna),
durch das Anhaften der Werdeprozess (10. bhava),
durch den Werdeprozess die Wiedergeburt (11. jāti);
durch die Wiedergeburt aber bedingt entstehen Altern und Sterben,
Sorge, Klage, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung (12. jarā-marana).
So, ihr Mönche, kommt es zur Entstehung dieser ganzen Leidensfülle.“
Paṭicca samuppāda Sutta, Saṃyuttankāya XII, 1, zit. nach Nyanatiloka (1981, S. 206).

Gut, man sollte es mit dem vergleichen:

Was aber, ihr Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Leidensentstehung?
Es ist eben jenes Wiederdasein erzeugende, von Lust und Gier begleitete,
sich hier und da erfreuende Begehren, nämlich sinnliches Begehren (kāma tanhā),
das Daseinsbegehren (bhava tanhā) und das Selbstvernichtungsbegehren
(vibhava-tanhā).
Dies, Mönche, ist die edle Wahrheit von der Leidensentstehung. Es ist die
Wiedergeburt bewirkende, wohlgefällige, mit Leidenschaft verbundene
Gier (tanhā), die hier und dort Gefallen findet, nämlich:
Die Gier nach Lust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vernichtung. [...]

So, meine Frage lautet: Gibt es doch offensichtlich den Unterschied in den Interpretationen oder nicht? Wo liegt der Hund begraben?

Also, wie ich es verstehe, wird Avidjja als die ursprüngliche Bedingung betrachtet, die letztlich zu tanha führt, welches wiederum das Leiden direkt verursacht. (reziproke Bedingung, sozusagen). Oder? (nachdenklich). LG.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Ich wollte aber, sorry, nochmal zurück zur zentralen Frage: Was war zuerst, tanha oder avidjja?

Meines Erachtens ist keines die Ursache des anderen, beides ist gleichzeitig da und hängt voneinander ab. Der Unwissende ist durstig und der Durstige ist unwissend. Durch Geistesruhe erlischt der Durst und durch Wissen erlischt die Unwissenheit. Aber Geistesruhe alleine beseitigt den Durst nicht endgültig, nur zeitweilig. Wissen alleine beseitigt die Unwissenheit nicht, weil der unruhige Geist nicht bis auf den Grund blicken lässt wie bei einem aufgewühlten Teich.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Ich denke, man kann die zwölf Glieder und die vier Wahrheiten nicht direkt nebeneinander legen. Die zwölf Glieder in der zitierten Reihenfolge bilden ja keine chronologische Abfolge, obwohl man das aus dem Text entnehmen kann. Die ersten drei Glieder gehören zum jetzigen Leben; das vierte Glied gehört aber bereits zur nächsten Existenz, genauso wie das fünfte, sechste und siebte Glied. Das achte, neunte und zehnte Glied gehören wiederum zum jetzigen Leben. Durch sie entstehen dann das elfte und zwölfte Glied, die bereits zur nächsten Existenz gehören.

Gliedert man die zwölf Glieder in die vier Gruppen: hervorrufende Ursachen, verwirklichende Ursachen, hervorgerufene Wirkungen und verwirklichte Wirkungen, dann wird auch die Zuordnung zu den vier Wahrheiten deutlicher. Auch warum die zwölf Glieder eine Konkretisierung der vier Wahrheiten darstellen.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Das ist mir aber klar, denn Avijjā und Taṇhā bedingen sich gegenseitig, also keine lineare Folge, so wie ich es verstanden habe.
Ja es dürfte kein zeitlicher Ablauf sein, wo dieses die Ursache von jenem ist. Es ist wohl nur ein Bedingungszusammenhang: wenn dieses ist, dann ist auch jenes. So ist das Erlöschen des Durstes mit dem Erlöschen der Unwissenheit verbunden, bzw. dem Erlangen von Weisheit.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Die Welt ist hochkompliziert, man kann gar nicht alles im Detail verstehen. Es genügt zu wissen dass Begehren die Ursache von Dukkha ist, alleine das ist schon sehr schwer zu verstehen bzw. so tiefgründig zu durchschauen, dass eben das Begehren erlischt.
Geduld, Geduld, das wird schon. Nicht verzagen, weiterplagen.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Die Welt ist hochkompliziert, man kann gar nicht alles im Detail verstehen. Es genügt zu wissen dass Begehren die Ursache von Dukkha ist, alleine das ist schon sehr schwer zu verstehen bzw. so tiefgründig zu durchschauen, dass eben das Begehren erlischt.
Geduld, Geduld, das wird schon. Nicht verzagen, weiterplagen.
Na ja, wenn man das ganze Elend, lieber @mukti, durchschaut – also das Sinnenbegehren als Folge der rechten Anschauung – dann denke ich, man kann nicht anders. Oder eher: Man kann nichts dafür, denn der Weg scheint wie vorbestimmt. LG.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Na ja, wenn man das ganze Elend, lieber @mukti, durchschaut – also das Sinnenbegehren als Folge der rechten Anschauung – dann denke ich, man kann nicht anders. Oder eher: Man kann nichts dafür, denn der Weg scheint wie vorbestimmt. LG.
Menschen erleben oft großes Elend, z.B. im Krieg, aber wenn er vorbei ist, denken sie wieder nur an Sinnesfreuden.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Menschen erleben oft großes Elend, z.B. im Krieg, aber wenn er vorbei ist, denken sie wieder nur an Sinnesfreuden.
Oh ja, schauen wir mal, wie lange man das Märchen von den homines sapientes sapientes noch glauben möchte.
……

Tiere lernen aus Erfahrungen … Sie verändern ihre Verhaltensweisen in zukünftigen Situationen aufgrund früherer gemachter Erfahrungen. :unsure: Dieser Prozess wird als Lernen bezeichnet. … Quelle: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/biologie-abitur/artikel/lernprozesse#

… soziales Lernen, das Lernen von anderen, ist im Tierreich bereits weit verbreitet, und von einigen lässt sich aufgrund der Forschung bereits jetzt sagen, dass sie stabile Kulturen entwickeln. … Quelle: https://www.nationalgeographic.de/tiere/2019/04/auch-tiere-haben-kultur

Wenn ich das alles lese, bin ich der Meinung, der Mensch kann viel von den Tieren lernen - (übrigens auch von Rinder. https://www.peta.de/themen/kuehe/ => Achtung: website enthält auch harte Tatsachen)
 
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Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Wenn ich das alles lese, bin ich der Meinung, der Mensch kann viel von den Tieren lernen
Genau hier liegt das Problem, liebe @mkha' , denn kein Tier kann sich in der freien Natur so verhalten wie der sogenannte Homo Sapiens. Kein Tier mordet aus Genuss wie Serienkiller, kein Tier führt Kriege, zankt oder streitet aus Boshaftigkeit. Das Tier ist das Produkt der biologischen Evolution, aber der Mensch besitzt den freien Willen. Er wird oft von seinen Begierden getrieben und reagiert darauf wie besessen. Deshalb geht der Buddhismus gegen den Strom – der Mensch sollte sich bemühen, sein Herz zu erhellen und rein zu machen (wie es auch im Christentum ausgedrückt wird). Die Tiere brauchen das nicht. Sie leben in Harmonie mit der Natur und stellen keine existenziellen Fragen. LG.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
... der Mensch besitzt den freien Willen. ...
Da ist es wieder ... Wäre die Sache mit dem freien Willen für einen jeden leicht verständlich, würde das Thema gewiss nicht so oft diskutiert; :unsure: ... oder ist es so interessant, weil es sich so gut nachvollziehen lässt ...? Meines Erachtens ist es ein bedingt freier Wille ;)

Zitat Peter Bieri:„ … Und was nicht in meiner Natur ist, was nicht meinem Charakter entspricht, kann ich auch nicht wollen (woher? wie?), trotz aller Freiheit von so und so viel Faktoren. …“

Aus Bieris "Handwerk der Freiheit", S. 45-53: "… Grenzen, die dem (freien) Willen durch die Welt gezogen werden, sind kein Hindernis für die Freiheit, sondern deren Voraussetzung. Die Welt mit ihren Angeboten legt fest, was ich zu einem gegebenen Zeitpunkt wollen kann. Der Rest liegt bei mir. Was heißt das?

Es kann viele, ganz unterschiedliche Dinge bedeuten. Was ich innerhalb des Spielraums, den mir die Umstände lassen, jeweils will, kann einmal von meinen körperlichen Bedürfnissen abhängen. Der Wille zu essen, ins Warme zu flüchten oder sich hinzulegen, ergibt sich aus Hunger, Frieren und Müdigkeit. Ohne diese körperlichen Empfindungen hätte ich einen solchen Willen nicht. Es können auch meine Gefühle sein, die darüber bestimmen, welcher Wille sich in mir bildet. Mein rücksichtsloser Wille, das brennende Haus zu verlassen, koste es, was es wolle, entspringt meiner panischen Angst vor dem Feuer. Der Wille des Opfers, seinen Peiniger zu töten, speist sich aus dem Haß. Der Wille, der mich ins Wasser springen läßt, um jemanden zu retten, entstammt dem Mitgefühl. Ohne diese Emotionen hätte ich den Willen nicht: Ich hätte nicht den Wunsch, er würde nicht handlungswirksam, und er ließe nicht die Bereitschaft entstehen, das Nötige zu tun. Auch von meiner Geschichte und ihrem Ergebnis, dem Charakter, hängt es ab, was ich unter bestimmten Umständen will. Wenn ich zu jemandem geworden bin, dem seine Erfahrungen nur dann etwas bedeuten, wenn er sie mit anderen teilen kann, werde ich unter den gleichen Umständen etwas anderes wollen als derjenige, der stets auf Abgrenzung bedacht ist. Wer durch leidvolle Erfahrung mit Veränderungen dazu gebracht wurde, ängstlich am Gewohnten festzuhalten, wird in derselben Situation etwas ganz anderes wollen als derjenige, der unter Erstarrung gelitten hat und nun nichts mehr fürchtet, als festgelegt zu werden. Und natürlich stellen seelische Verletzungen, ob erinnert oder vergessen, die Weichen für den weiteren Verlauf eines Willens. All diese Dinge geben einer Person ihr inneres Profil, das in der Begegnung mit den Umständen eher den einen als den anderen Willen zeitigt.

Stellt die Tatsache, daß ich in der Ausformung meines Willens nicht nur durch die äußeren Umstände, sondern auch die Umstände in mir selbst beeinflußt und begrenzt werde, eine Beeinträchtigung meiner Freiheit dar? Ist sie ein Grund zur Klage?

Wiederum kann es auf den ersten Blick scheinen, als sei das durchaus der Fall. Erleben wir es nicht oft genug als ärgerliche Beschränkung, daß wir unter ähnlichen Umständen immer wieder die gleiche Art von Willen entwickeln? Sind solche Wiederholungen nicht wie die Mauern eines Kerkers? Möchten wir aus dieser inneren Monotonie nicht manchmal ausbrechen und uns durch eine innere Revolution umgestalten, so daß uns als Antwort auf alte Umstände neue Formen des Willens gelingen könnten? Gewiß; doch das war, wiederum, nicht die Frage. Die Frage war, ob es uns stört, daß unser Wille überhaupt durch körperliche Bedürfnisse, Gefühle, Geschichte und Charakter beeinflußt und begrenzt wird. Und da ist die Antwort, wiederum: nein. Auch nach einer inneren Revolution könnte ich nicht Beliebiges wollen, sondern nur solches, das die neue innere Welt zuließe. Und das ist gut so; denn nur dadurch, daß ein Wille in einer Innenwelt mit festen Konturen verankert ist, ist er der Wille einer bestimmten Person, also überhaupt jemandes Wille.

Nehmen wir auch hier das Unmögliche an: daß mein Wille völlig unabhängig vom Rest meiner Innenwelt wäre. Man verstünde dann gar nicht mehr, was es heißen sollte, daß er immer noch mein Wille wäre. Wenn die Abhängigkeit von äußeren Umständen dafür sorgt, daß ein Wille ein bestimmter Wille ist, so sorgt die Abhängigkeit von inneren Umständen dafür, daß es ein Wille ist, der jemandem zugehört. Ein vollständig ungebundener Wille wäre niemandes Wille und also kein Wille. Wesen mit einem grenzenlosen Willen wären, statt eine besonders große Freiheit des Wollens zu besitzen, gänzlich willenlose Wesen, weil es an ihnen nichts gäbe, das unter die Idee des Willens fiele, welche die Idee eines notwendigerweise persönlichen Willens ist. Deshalb gilt auch hier: Die prinzipielle Bedingtheit unseres Wollens durch Geschichte und Erleben kann uns nicht stören; denn dasjenige, mit dem sie verglichen werden müßte, um uns zu stören, ist nicht denkbar. Und so ist die Begrenzung unseres Wollens durch etwas, was vorausgeht, wiederum kein Hindernis für die Freiheit, sondern deren Voraussetzung. …"
...............


... und was das Lernen von den Tieren betrifft, so meinte ich einfach ihre beispielhaft natürliche Art zu sein, ihr Leben in und mit der Natur, ... ihr sanftes Wesen, die Liebe zu ihren Jungtieren und deren liebevolle Versorgung, das Beschaffen von Nahrung - nicht im Überfluss, sondern nur zur Stillung des Hungers, usw.
 
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Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Peter Bieri hat recht finde ich, es ist sozusagen ein bedingt freier Wille und er ist mit der Person verbunden - "Ich will". Das hat mich inspiriert über den Willen nachzudenken.

Der Wille bewirkt körperliches und geistiges Handeln:

Den Willen, ihr Mönche, bezeichne ich als das Wirken, denn, nachdem man es gewollt hat, vollbringt man das Wirken in Werken, Worten und Gedanken.
Cetanāhaṃ, bhikkhave, kammaṃ vadāmi. Cetayitvā kammaṃ karoti – kāyena vācāya manasā.
A.VI.63

Der Wille ist die Wurzel des Leids:

Was immer auch an Leiden sich entwickelt, alles das wurzelt im Willen, entstammt aus dem Willen, denn der Wille ist die Wurzel des Leidens.
S.42.11

Ohne Zusammenhang mit dieser Lehrrede macht der Satz keinen Sinn, weil es ja auch den Willen zur Befreiung von Leiden gibt. Genauer gesagt ist nicht der Wille, sondern die Absicht (chanda) die Wurzel des Leidens. So steht da auch in Pali : "Chando hi mūlaṃ dukkhassāti." Damit ist aber nur die Absicht gemeint, die mit weltlichem Begehren (raga) verbunden ist: "chandarāgo", was mit "Willensreiz" übersetzt wurde.
Also die unheilsame Absicht (akusala) ist die Wurzel des Leidens und das steht im Zusammenhang mit der zweiten edlen Wahrheit. Wenn der Wille von heilsamer Absicht (kusala) bestimmt wird, befreit er von Leid, das hängt mit der dritten und vierten edlen Wahrheit zusammen.

So habe ich mir das zusammengebastelt und halte es für rechte Ansicht, und wenn man nach dem achtfachen Pfad handelt, wird die Ansicht zu Einsicht und Verwirklichung. Wie mühsam das ist, hängt von der natürlichen Veranlagung ab:

Da, ihr Mönche, besitzt einer von Natur aus starke Gier, starken Haß oder starke Verblendung, und infolge davon empfindet er häufig Leiden und Gram. Die fünf Fähigkeiten, nämlich Vertrauen, Willenskraft, Achtsamkeit , Geistessammlung und Weisheit, sind nur schwach in ihm entwickelt; und da sie schwach entwickelt sind, erreicht er nur langsam die unmittelbare Bedingung der Triebversiegung. Das, ihr Mönche, nennt man den mühsamen Fortschritt, verbunden mit langsamem Verständnis.

Da, ihr Mönche, besitzt einer von Natur aus starke Gier, starken Haß oder starke Verblendung, und infolge davon empfindet er häufig Leiden und Gram. Doch die fünf Fähigkeiten, nämlich Vertrauen, Willenskraft, Achtsamkeit, Geistessammlung und Weisheit, sind in ihm stark entwickelt; und da sie stark entwickelt sind, erreicht er schnell die unmittelbare Bedingung der Triebversiegung. Das, ihr Mönche, nennt man den mühsamen Fortschritt, verbunden mit schnellem Verständnis.

Da, ihr Mönche, besitzt einer von Natur aus keine starke Gier, keinen starken Haß, keine starke Verblendung, und infolge davon empfindet er nur selten Leiden und Gram; doch die fünf Fähigkeiten, nämlich Vertrauen, Willenskraft, Achtsamkeit, Geistessammlung und Weisheit, sind in ihm nur schwach entwickelt; und da sie schwach entwickelt sind, erreicht er nur langsam die unmittelbare Bedingung der Triebversiegung. Das, ihr Mönche, nennt man den mühelosen Fortschritt, verbunden mit langsamem Verständnis.

Da, ihr Mönche, besitzt einer von Natur aus keine starke Gier, keinen starken Haß, keine starke Verblendung; und infolge davon empfindet er nur selten Leiden und Gram. Doch die fünf Fähigkeiten, nämlich Vertrauen, Willenskraft, Achtsamkeit, Geistessammlung und Weisheit, sind in ihm stark entwickelt; und da sie stark entwickelt sind, erreicht er schnell die unmittelbare Bedingung der Triebversiegung. Das, ihr Mönche, nennt man den mühelosen Fortschritt, verbunden mit schnellem Verständnis.

Diese vier Wege des Fortschritts gibt es, ihr Mönche.
A.IV.161
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Der Wille ist die Wurzel des Leids:
Hm, lieber @mukti , wenn ich mich richtig erinnere, kann der Begriff "Chanda" auch anders interpretiert werden, nämlich als der Wille zum inneren Heil oder zur Erlösung. So kann man es bei Bhikkhu P.A. Payutto finden, glaube ich.
Aha:

Diese alternative Motivation, die in jedem von uns angelegt ist, wird auf Pali als chanda (‚heilsames Verlangen‘, ‚heilsame Begeisterung‘) bezeichnet. Hier ändert sich der Kurs, den unser Leben nimmt. Man beginnt, die Qualität des eigenen Lebens zu entwickeln. Weisheit (paññā) unterscheidet, was in der eigenen Lebensumgebung schädlich und was förderlich ist und erkennt den Pfad zu wahrer Erfüllung. Heilsames Verlangen (chanda) strebt nach dieser Erfüllung und hat den Wunsch, sie herbeizuführen. Die Absicht (cetana) initiiert den Aufwand, sich in diese positive Richtung zu bewegen.

Wenn Menschen sich auf diese Weise entwickeln, wird der Kreislauf von Unwissenheit-Begierde-Intention (avijja-tanhā-cetana) gelockert und geschwächt. Diesen Kreislauf kann man auch als Unwissenheit-Begierde-unheilsame Handlungen (avijja-tanhā-akusala kamma ) bezeichnen.
Wenn man dies mit Schopenhauers eher pessimistischer Sicht des "gebundenen Willens" ( "Die Welt als Wille und Vorstellung") vergleicht, könnte man Ähnlichkeiten finden. Doch aus buddhistischer Perspektive bestimmen wir selbst unsere Absicht (cetana). Die Frage, ob der Wille frei oder vorbestimmt ist, könnte rein wissenschaftlich untersucht werden, aber aus der ersten Person-Perspektive („Qualia“) scheint sie mir nicht wichtig zu sein.

Es gibt auch einen anderen wichtigen Punkt: „Was der Mensch häufig bedenkt und sinnt, darin neigt sich sein Herz“ (MN19). Diesen Satz habe ich aus dem Buch abgeschrieben, Entschuldigung, falls es nicht passt.

Ich möchte mich herzlich bei @mkha' bedanken, denn dank deinem Rat habe ich dieses Buch vor vielen Jahren gefunden. Es dreht sich letztlich doch alles um den" armen" Raskolnikov, was mich besonders fasziniert hat.LG.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Hm, lieber @mukti , wenn ich mich richtig erinnere, kann der Begriff "Chanda" auch anders interpretiert werden, nämlich als der Wille zum inneren Heil oder zur Erlösung.

Der Begriff chanda steht in dieser Lehrrede wie gesagt im Zusammenhang mit rāga (Begierde, Lust, Leidenschaft).

"Was ist nun, Vorsteher, der Anlaß, was ist der Grund, daß Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande einiger Menschen dir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde, und was ist der Anlaß, was ist der Grund, daß Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande anderer Menschen dir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram oder Verzweiflung bereiten würde?"

"Zu den Menschen, o Herr, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde, habe ich Willensreiz (chandarāga). Zu den Menschen, o Herr, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram oder Verzweiflung bereiten würde, habe ich keinen Willensreiz (chandarāga)".
S.42.11

Chanda kann heilsam oder unheilsam sein, wenn der Buddha am Ende der Lehrrede sagt "Chando hi mūlaṃ dukkhassāti" (Chanda ist die Wurzel des Leids), hat er bestimmt nicht "heilsames Verlangen" gemeint.

Die Frage, ob der Wille frei oder vorbestimmt ist, könnte rein wissenschaftlich untersucht werden, aber aus der ersten Person-Perspektive („Qualia“) scheint sie mir nicht wichtig zu sein.
Das denke ich auch dass diese Frage praktisch keine Bedeutung hat. Willentlich handeln muss man so oder so, wichtig finde ich die Frage wie man handeln soll.
 
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Chanda kann heilsam oder unheilsam sein, wenn der Buddha am Ende der Lehrrede sagt "Chando hi mūlaṃ dukkhassāti" (Chanda ist die Wurzel des Leids), hat er bestimmt nicht "heilsames Verlangen" gemeint.
Na ja, das ist bestimmt korrekt. Es gibt also offenbar verschiedene Interpretationen, oder? Schau mal:

Um noch einmal zusammenzufassen: Es gibt diese zwei Arten des
Verlangens, die für die Menschen als Antriebskräfte für ihr Handeln agieren:
1. Begierde (tanha): das Verlangen zu konsumieren und zu erlangen; das
Verlangen nach selbstsüchtigem Handeln; das Verlangen, bezogen auf
sich selbst, auf irgendeine bestimmte Art zu existieren oder nicht zu
existieren; egoistisches Verlangen.
2. Heilsames Verlangen (chanda): sich daran zu erfreuen, die Erfüllung
und Integrität von Dingen zu bezeugen; der Wunsch, dabei behilflich zu sein,
so eine Erfüllung herbeizuführen; der Wunsch, dass Dinge in sich selbst
vollständig sein mögen.

Ach, @mukti, wegen der Hitze ticke ich nicht ganz richtig (OT). Klar, in deinem Beispiel geht es doch um "chandarāga."

Aha, gibt es Reden, in denen der Begriff als "heilsam" betrachtet wird?

chanda​


'Absicht',


ist eine von den in den Abhidhamma-Kommentaren gelehrten 11 Allgemeinen geistigen Faktoren, deren moralische Qualität durch die Qualität des damit verbundenen Willens (siehe cetanā) bestimmt wird.

Sehr interessante Anmerkung kann man bei K. Zumwinkel finden ( M109):

[1] Der Buddha verwendet das Wort chanda, das zunächst die neutrale Bedeutung "Handlungsantrieb" hat. Im positiven Sinnzusammenhang wird es in diesem Buch mit "Eifer" übersetzt, im Zusammenhang mit den vier Machtfährten als "Absicht". Handlungsantrieb, der sich auf Sinnesobjekte bezieht, heißt "Sinnesbegierde" (kāmachanda). MA setzt es im Zusammenhang dieser Lehrrede mit taṇhā gleich, das in diesem Buch durchweg mit "Begehren" übersetzt wird. Hier heißt chanda also "Gier". Zu bedenken ist aber, daß auch der geistige Impuls hinter den Aktivitäten eines Arahant als chanda bezeichnet wird.




Aha, "kusala" ist auch mit der Absicht verbunden, also kann man es als verwandten Begriff verwenden. Oder?

Als erstes erkennt der Mensch die Konflikte (dukkha), mit denen er immer wieder kon-frontiert ist. Als Ursache dieser Konflikte sieht er seine eigenen unheilsamen (akusala) Handlungen. Diese Konflikte kann er beheben, indem er heilsame (kusala) Handlungen begeht.
Hier

Und bei Nyanatiloka:

'Karmisch-heilsam',


nennt man alle von Gier, Haß, und Verblendung freien und den Keim zu günstigem Geschicke in sich tragenden Willenshandlungen (siehe Karma), ebenso wie auch alle damit verbundenen Geistesfaktoren und Bewußtseinszustände.
kusala

Also, das Verlangen – dann die Absicht (als Folge) – und schließlich das Ergebnis (Handlung).
Wie siehst du, @mukti ? LG.
 
Zuletzt bearbeitet:
Re: Praxis Das Verlöschen des Begehrens
Also, das Verlangen – dann die Absicht (als Folge) – und schließlich das Ergebnis (Handlung).
Wie siehst du, @mukti ? LG.

Ja, so sehe ich es auch. Wobei sich die Begriffe Absicht (chanda) und Wille (cetanā) zwar überschneiden, aber wohl nicht genau dasselbe bezeichnen. Im Allgemeinen würde ich sagen dass der Wille die Absicht in die Tat umsetzt. Und das Verlangen ist wiederum bedingt durch das Gefühl und das Gefühl durch Sinneseindruck.

Aha, "kusala" ist auch mit der Absicht verbunden, also kann man es als verwandten Begriff verwenden. Oder?
Kusala dürfte die heilsame Absicht und willentliche Durchführung sein, akusala die unheilsame.
 
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