Ein Versuch,
gemäß der Darlegung der tibetisch-buddhistischen Gelugpa allgemeinverständlich zu erklären. Ich stütze mich auf eine Unterweisung Geshelas, (
Geshe Thubten Ngawangs), und habe die ausführlichen Darlegungen, (
Quelle: siehe unten), auf das zum Verständnis Nötigste begrenzt.
Unwissenheit => Verkehrtes Bewusstsein => die Erste der Sieben Arten von Erkenntnis
…
Die Definition der Gelugpa von Bewusstsein: "Das, was klar und erkennend ist." oder
"Das, was erhellend und erkennend ist.“
Erkennend ist mit wahrnehmend gleichzusetzen. Das Bewusstsein ist klar, es hat keine materiellen Eigenschaften, die man anfassen kann, und zeichnet sich dadurch aus, dass es etwas wahrnimmt. Das gilt für alle Bewusstseinsarten. Dinge wahrzunehmen, zu erkennen, zu verstehen, die Fähigkeit, verschiedenste Dinge widerzuspiegeln, diese Erkenntnisfähigkeit ist somit das charakteristische Merkmal des Bewusstseins. …
... In der buddhistischen Erkenntnistheorie nach Dignaga und Dharmakirti wird das Bewusstsein unterteilt in sieben Arten der Erkenntnis, von denen zwei gültige Erkenntnisse (Pramana) und fünf nicht-gültige Erkenntnisse sind:
Die sieben Arten von Erkenntnis
Verkehrtes Bewusstsein: Das Objekt wird falsch erkannt und beurteilt.
Zweifel: Unentschlossenheit des Geistes, die zum Richtigen oder Falschen tendiert.
Korrekte Vermutung: Urteilende Erkenntnis, die den Tatsachen entspricht, aber nicht stabil ist.
Unaufmerksames Gewahrsein: Ein Objekt wird wahrgenommen, aber nicht festgestellt.
Gültige Schlussfolgerung: Eine auf Argumenten basierende, korrekte Erkenntnis.
Gültige direkte Wahrnehmung: Eine korrekte Erkenntnis in Form einer unmittelbaren, direkten Erfahrung.
Nachfolgende Erkenntnis: Das Wiedererkennen infolge einer vorherigen Gültigen Erkenntnis.
… Wenn wir nachdenken, können wir erkennen, dass bestimmte Auffassungsweisen falsch sind, z.B. die Sicht eines von Körper und Geist losgelösten, unabhängigen Ichs. Diese Auffassung widerspricht der Beobachtung, dass das Ich abhängig von Ursachen und Umstanden ist.
Erst durch derartige Überlegungen entwickeln wir zunächst Zweifel an falschen Vorstellungen und wandeln den Geist allmählich über die Korrekte Vermutung hin zu unumstößlichen Erkenntnissen. Die Erkenntnis allein reicht auf dem spirituellen Weg aber nicht aus. Um die tief im Geist verankerten, falschen Bewusstseinsaspekte zu beseitigen, muss man außerdem über einen langen Zeitraum viele heilsame Eindrucke sammeln, indem man
Zuflucht nimmt, Vertrauen in die Buddhas entwickelt, … etc.
Nicht-gültige Erkenntnisse
Gültige Erkenntnisse, ob direkt oder mit Hilfe von Argumenten, sind die besten Bewusstseinszustände. … Auf der anderen Seite haben wir das Gegenteil:
Verkehrtes Bewusstsein. Dieses bezieht sich in falscher Art und Weise auf das Objekt. Das Wesentliche dabei ist, dass man das eigentliche Objekt, auf welches der Geist gerichtet ist, nicht in korrekter Weise erfasst.
Man unterscheidet hier zwischen der Erscheinungs-und Beurteilungsweise. Ein Bewusstsein, das sich nur über das erscheinende Objekt täuscht, muss keine verkehrte Erkenntnis sein.
Ein Verkehrtes Bewusstsein ist nicht nur hinsichtlich der Erscheinungsweise getäuscht, sondern auch hinsichtlich der Beurteilung. Es erkennt das eigentliche Objekt der Beschäftigung falsch.
Bei uns gewöhnlichen Wesen ist der Geist, außer bei den direkten Wahrnehmungen, immer hinsichtlich des erscheinenden Objekts getäuscht. Das heißt, das Objekt erscheint uns anders, als es tatsächlich existiert. Das bedeutet aber nicht, dass all diese Geisteszustände verkehrte Bewusstseinszustände sind.
Worin liegt diese normale Täuschung?
Wenn wir über etwas nachdenken, dann steht zwischen dem Objekt und dem Geist bzw. dem Denken ein sogenanntes Allgemeinbild. Dieses führt dazu, dass das Objekt nicht völlig klar und in allen Einzelheiten erscheint wie bei einer direkten Wahrnehmung.
Wenn wir beispielsweise an unsere Wohnung denken, dann erfassen wir das Objekt korrekt, aber nicht in Einzelheiten. Wir haben nur eine allgemeine, oberflächliche Vorstellung, einen allgemeinen Begriff davon. Das gilt für alle begrifflichen Bewusstseinszustände. Sie nehmen das Objekt immer mit dem Allgemeinbild vermischt wahr und niemals direkt, wie wenn wir etwas mit dem Auge sehen.
Unserem Bewusstsein erscheint es jedoch so, als sei das Allgemeinbild, dieser allgemeine Begriff des Objektes, das Objekt selbst. So sind wir, im Zustand begrifflichen Denkens, stets getäuscht in Bezug auf das erscheinende Objekt.
Die Täuschung bezieht sich aber nicht notwendigerweise auf das eigentliche Objekt.
- Wenn wir denken, in meinem Zimmer steht eine Blume, dann finden wir die Blume dort auch. Das ist also ein korrekter Bewusstseinszustand, es ist ein gültiges Bewusstsein. Die Täuschung bezieht sich nur auf die Erscheinungsweise.
- Verkehrt ist ein Bewusstseinszustand dann, wenn man nicht nur bezüglich der Erscheinungsweise, sondern auch mit Blick auf das Objekt getäuscht ist. Wenn man denkt, man hat eine Blume zu Hause stehen, in Wahrheit ist es aber ein Tomatenstrauch.
Das Objekt erscheint nicht nur falsch, sondern wird auch völlig falsch beurteilt. Diese verkehrte Art des Erfassens trifft zu auf die Geistesgifte wie Hass, Gier, Verblendung, Stolz usw. Diese Bewusstseinszustände sind nicht nur bezüglich der Erscheinung getäuscht, sondern auch hinsichtlich des eigentlichen Objektes, auf das der Geist gerichtet ist.
Hass ist beispielsweise ein Verkehrtes Bewusstsein, denn im Zustand von Hass nimmt man die Tatsachen völlig verzerrt wahr.
z.B. ist die Beurteilung des anderen Wesens im Zustand des Hasses völlig verkehrt. Deshalb ist dies ein Bewusstsein, welches sich auf das Objekt, mit dem es sich beschäftigt, in verkehrter Weise bezieht.
=> Die Wurzel aller negativen Geisteszustände ist die Unwissenheit, insbesondere in Bezug auf die Bestehensweise des Ich. => Dies ist ein verkehrtes Bewusstsein.
Denn wir projizieren auf Körper und Geist ein eigenständiges, aus sich selbst bestehendes Ich, obwohl es das real nicht gibt. Wir fügen etwas hinzu, das tatsächlich nicht vorhanden ist. Somit ist diese grundlegende Unwissenheit ein Verkehrtes Bewusstsein.
Auszug: „Erkenntnis, gültige u. nicht-gültige“ – aus der Unterweisung Geshe Thubten Ngawangs: „Stufen der Erkenntnis“
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Fazit: … und da das Verkehrte Bewusstsein zu den „Sieben Arten von Erkenntnis“ gehört (
Verkehrtes Bewusstsein: Das Objekt wird falsch erkannt und beurteilt.), ist eben auch die Unwissenheit eine Erkenntnis